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Musik als Hilfe bei Trauer

Vor über 16 Jahren spielte ich an der Beerdigung einer meiner besten Freunde mit meiner Harfe. Er hatte sich dies gewünscht und wir besprachen sogar im Vorfeld, welche Lieder es zu seiner Beerdigung sein sollten. So ist das Stück „Feather Theme“ aus Forrest Gump, „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ und „The Minstrel’s Adieu“ in meinen Gedanken auf ewig verbunden mit diesem denkwürdigen Abschiedsgottesdienst, der uns allen viel abverlangte. 

Vor einer Woche traf ich zufällig auf eine Bekannte, die nach kurzem Austausch von Small-Talk-Inhalten zu mir meinte: „Ich werde nie vergessen, wie du auf dieser Beerdigung gespielt hast. Das war so schön und so traurig zugleich.“ Über 15 Jahre später erinnert sie sich an: die Live-Musik an der Trauerfeier. 

 

Musik als Katalysator für Emotionen

 

Warum ist es genau mein Harfenspiel, das sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hat? Ich spreche mit Erika Amon, einer erfahrenen Trauerrednerin, über dieses Thema. Sie sagt: „Musik wirkt auf verschiedenste Weise auf den Menschen. Sie verändert – organisch betrachtet - den Herzschlag, den Blutdruck, die Atemfrequenz. Aber sie wirkt auch auf die Seele: sie berührt, auf ganz mystische Art erreicht sie uns im Innersten. Sie kann aufwühlen, in Stimmung versetzen, uns schweben lassen, anregen, aber auch trösten und heilsam sein. In Zeiten der Trauer kann sie helfen, eine tiefe Traurigkeit zu lösen. ‚Musik macht das Herz weich. Ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen zur Seele auf‘, formulierte Sophie Scholl.“

 

Macht traurige Musik traurig?

 

Macht es das nicht noch schlimmer? Stürzt Trauermusik den ohnehin schon in einem emotionalen Ausnahmezustand befindlichen Menschen nicht in eine noch tiefere Krise? 

 

Dazu Marcel Zentner, Professor für Psychologie an der Universität Innsbruck: „Traurige Musik ist nicht aversiv, sondern angenehm. Sie vermittelt eine Art von Nicht-Alltagstraurigkeit; eine ästhetische Traurigkeit." Während wir normalerweise das Gefühl von Trauer meiden, tun wir das in der Musik explizit nicht. Dies hat einen einfachen Grund: bei einer Befragung gaben 76 Prozent der Studienteilnehmer an,  bei trauriger Musik nicht Kummer, sondern  Nostalgie zu empfinden (mehr dazu hier). Musik dient hier also als Vehikel, um sich an Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erinnern. Übertragen auf die Situation eines Trauernden, der kürzlich einen lieben Menschen verloren hat, bedeutet dies die Möglichkeit, sich mit ihm zu verbinden, ihn in der Erinnerung weiter leben zu lassen. Musik kann also eine wichtige Rolle im Trauerprozess spielen. 

 

Was kann bei Trauer helfen? 

 

Frag jemanden, der gerade einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hat, und die Antwort wird lauten: Nichts. 

Besonders bei einem unerwarteten Verlust zieht es einem nur den Boden unter den Füßen weg und man glaubt, mit diesem Schmerz nicht leben zu können. 

 

Frag jemanden, der professionell mit Trauernden arbeitet, und er wird dir sagen: Vieles. Vieles kann helfen, den Trauerprozess in richtige Bahnen zu lenken. Niemand kann einem jedoch den Trauerprozess abnehmen. 

 

Die Hilfe bei Trauer ist natürlich ebenso wie die Trauer sehr individuell. Was aber nachweislich eine sehr große Rolle spielt, ist die Verabschiedung des geliebten Menschen in einem stimmigen Ritual. Ob dies die klassische Trauerfeier innerhalb der Gemeinde mit Beerdigung auf dem Friedhof ist, eine kleine Trauerfeier im engsten Kreis mit Urnenbestattung, eine Waldbestattung oder in Schweiz und Niederlande eine Einäscherung mit der Möglichkeit, die Urne mit nach Hause zu nehmen - ein Abschiedsritual ist enorm wichtig. Erstens gibt es den Hinterbliebenen im Zustand der totalen Hilflosigkeit etwas zu tun und zu überlegen, zweitens schafft das Ritual Raum, die Trauer zuzulassen und den Verlust zu realisieren, und drittens werden dies die Momente sein, an die man sich jahrelang erinnert. So traurig der Anlass ist, so verzweifelt man sich in diesem Moment fühlt, eine Trauerfeier sollte eine schöne Veranstaltung sein. Schön im Sinne von: es war eine stimmige Beerdigung, man fühlte sich im Kreise der Freunde und Familie getragen, man hat einen würdevollen Abschied bereitet. 

Nicht umsonst sagt man bei uns, „es war a schöne Leich“, also Leichenschmaus. Ein stimmiges Ritual, das die Hinterbliebenen im Sinne des Verstorbenen, aber in erster Linie für sich machen, kann absolut individuell gestaltet sein, darf sich aber genauso an kulturell verankerte Abfolgen halten. 

 

Wie sollte die Trauerfeier gestaltet werden? 

 

Auch hier frage ich wieder die Expertin und Trauerrednerin Erika Amon. Sie weiß: 

„An der Erinnerungsfeier sollte die drei wesentlichen Elemente zueinanderpassen: die florale, die musikalische und die rhetorische Gestaltung. Wenn sie ineinander übergehen, kann der schwere Tag des Abschieds in guter Erinnerung bleiben.

So kommt der Auswahl von Musik an Trauerfeiern eine große Bedeutung zu: Musik erreicht die Seele noch direkter als es das gesprochene Wort tut. An der Feier kann Musik live gespielt werden oder vom Band, das Lieblingsinstrument des Verstorbenen ausgewählt werden, Lieder mit Bezug zum Thema Tod oder auch klassische Trauermusikstücke. Musik, die für den Verstorbenen eine spezielle Bedeutung hatte, liebevoll ausgewählt, macht die Feier besonders persönlich. Traurige Musik gibt der Trauer Halt. Das mag seltsam klingen: Ein trauriges Lied tut - auch - gut.“ 

 

Welche Musik passt am besten zu einer Bestattung? 

 

Die Entscheidung, welche Musik an der Beerdigung gespielt wird, ist höchst individuell. Im Idealfall hat der Verstorbene schon vorher Wünsche geäußert, so wie es bei meinem Freund der Fall war. Es gibt sogar die Idee, seinem eigenen Testament eine Liste beizulegen, einen „Soundtrack of My Life“. Trotzdem ist es vor allem wichtig, dass für die Hinterbliebenen die Musik stimmig ist. Manche Stücke können eine zu große emotionale Last aufbürden oder vom Charakter her zu dramatisch sein. Hier eignet sich die Harfe mit ihren klaren Tönen, die Schwere aus der Musik zu nehmen. Manche Stücke können zu trivial erscheinen. Meist entscheiden sich die Trauernden für einen Mix aus verschiedenen Kategorien und wählen ein klassisches Stück und mindestens ein individuelles Stück, das sie mit dem Verstorbenen verbinden. Hier gibt es eine Liste der meist gefragten Stücke für Trauermusik: 

 

Klassische Musik:

J.S. Bach: Präludium, Air 

J. Haydn: Serenade Nr. 4
A. Vivaldi: Andante, Winter (Largo)

W.A.Mozart: Sonata A-Dur KV 331 (Thema), Eine kleine Nachtmusik

J. Massenet: Thais-Meditation

J. Pachelbel: Kanon in D

L.v. Beethoven: Mondschein-Sonate

 

Kirchenmusik:
Näher mein Gott zu dir 

Großer Gott, wir loben dich

Zum Sanctus (Heilig, heilig, heilig)

Wer nur den lieben Gott lässt walten

Von guten Mächten wunderbar geborgen

 

 

Traditionelles Liedgut:

Guten Abend, gut‘ Nacht

Der Mond ist aufgegangen 

Irisches Segenslied

You raise me up

Scarborough Fair
Last rose of summer
Give me your hand
Greensleaves
Auld Lang Syne (Nehmt Abschied Brüder)

The parting glass

 

Pop-Musik:

Enya: Only Time

Eric Clapton:  Tears in heaven
L. Cohen: Hallelujah

The Rolling Stones: As Tears Go By 

H. Arlen: Over the Rainbow 

E. Piaf: La vie en rose 

Hildegard Knef: Für mich solls rote Rosen regnen 

Whitney Houston:  One moment in time 

The Beatles: Let it be, Yesterday

aus The Rose: The Rose

aus Forrest Gump: Feather Theme

aus Ziemlich Beste Freunde: Una Mattina

Metallica: Nothing else matters

 

Meist ist mindestens ein Stück erwünscht, welches ich noch nie gespielt habe, was aber den Trauernden wichtig ist. Mir ist es ein Anliegen, hier auf die individuellen Wünsche eingehen zu können, und so habe ich schon außergewöhnliche Stücke realisiert, z.B. „Numb“ von Linkin‘ Park oder „Flieger, grüß‘ mir die Sonne“. Auf der Harfe lassen sich sehr viele Stücke arrangieren und die Feinheit des Klanges lässt auch ein Pop-Stück dem Anlass angemessen sehr würdevoll erscheinen.

 

Musik am Grab: 

Für viele Trauernde ist besonders der Moment am Grab eine große Herausforderung, wenn der geliebte Mensch wirklich endgültig losgelassen und einem neuen Element übergeben werden muss. Mit meiner kleinen Harfe kann ich diese Situation etwas leichter gestalten: am liebsten improvisiere ich hier frei und lege all meine guten Wünsche und Gedanken in die Musik hinein. 

 

Und nach der Trauerfeier? 

Musik kann auch in der schwierigen Zeit nach der Trauerfeier helfen. Experten sind sich einig, dass das erste Trauerjahr das schwierigste ist. Das bewusste Anhören von Musik gibt Raum für Trauer und In-Beziehung-Treten mit dem Verstorbenen. Am besten eignet sich hier die Musik, die mit dem Verstorbenen verbunden wird. Als Erinnerung an das Abschiedsfest nehme ich gerne auch die Stücke, die ich live bei der Trauerfeier gespielt habe, auf. Denn Musik „hilft bei der Bewältigung von Trauer. Da treffen Schönheit und emotionale Resonanz aufeinander; das kann Leiden nicht verhindern, aber einen Raum des Berührtseins hineinbringen in das Leid und für einen Augenblick die Menschen verändern“, so Erika Amon. 

 

Sehr heilsam und schön ist es, den Jahrestag gemeinsam mit der Familie zu verbringen. Die ganz eigenen Familienrituale, vielleicht eine angezündete Kerze oder eine ruhige CD - so lässt sich das Erinnern integrieren und wird zum normalen Bestandteil des Alltags. 

 

Für immer in meinem Gedächtnis bleiben wird, wie ich vor drei Jahren bei der Trauerfeier für einen verunfallten guten Freund „Der letzte Tanz der Sonne“ von Christoph Pampuch spielte, gemeinsam mit zwei anderen Freunden an der Gitarre und Geige, während die Sonne im Bodensee versank. Freunde hatten Boote gebastelt, die sie dazu auf dem See schwimmen ließen. Dass dies alles zum gleichen Zeitpunkt geschah, war nicht abgesprochen und machte es umso intensiver. 

 

Solche Momente sind es, die als Erinnerung ewig in uns weiterleben.