Es war am zweiten Adventswochenende, man schrieb das Jahr, in dem in Europa ihm 21. Jahrhundert Krieg ausgebrochen war. Im heimischen Einkaufszentrum spielte ich mit meiner Harfe zur allgemeinen Einstimmung in die besinnliche Weihnachtszeit. Vorbeieilende hielten an, unterbrachen den Einkaufs-Trubel für die Dauer von ein, zwei Liedern, und zogen weiter. Ein Mädchen aber, weißblond verwuschelte Haare, stand schon seit geraumer Zeit seitlich neben der Bühne und deutete nach jedem Stück ein schüchternes Klatschen an. Sie strahlte dabei, ihre Wangen wurden mit jedem Stück ein wenig farbiger. Als sie sich näher an die Bühne heran wagte, sprach ich sie an: „Das gefällt dir, oder?“ - „Ja“, leuchteten ihre Augen. „Ich nicht gut Deutsch“, sprach ihr Mund. Welche Sprache sie denn spräche? „Ukrainia“, kam es voller Stolz.
Ich spielte ein ukrainisches Weihnachtslied: Dobry vechir toby. Sie kannte es nicht, entweder spielte ich es völlig anders als sie es gewohnt war, oder es war doch nicht so bekannt, wie ich dachte.
Wieder stand sie mit hoffnungsvollem Blick da. „Spielst du auch ein Instrument?“, fragte ich sie nach den nächsten paar Stücken. „Piano“, antwortete sie, „zu Hause in Ukrainia.“ Wie schlimm es sein musste, allem entrissen zu sein, und auch noch dem Instrument, das man gerade erlernte.
Spontan lud ich sie ein: „Ich habe ein Klavier, aber ich spiele es nie. Du kannst gerne kommen und es spielen. Aber es geht erst im Januar.“ - „Im Januar mein Geburtstag“, freute sich O. „Na, das passt ja dann super“.
Ich händigte ihr meinen Flyer aus, zeigte auf die Email-Adresse darauf und sagte, ihre Mama solle sich bei mir melden. Die Mutter kam dann auch aus dem Hintergrund herbeigeeilt und ich ermutigte sie nochmal, mir unbedingt zu schreiben.
Schon am nächsten Morgen erhielt ich eine Mail mit dem Betreff: „Kleine Hörerin aus Lindaupark“. Ihre Mutter erzählte, wie sehr die kleine O. vom Konzert zehrte, dass sie sich trotz allem noch so freuen konnte und dass sie eigentlich schon immer Harfe lernen wollte, es aber dort, wo sie herkamen, keinen Harfenunterricht gab. Und dann schrieb sie: „Bitte, wollen Sie werden Harfenlehrerin von meine Tochter?“
Eine neue Wendung! Ich folgte meinem ersten Impuls und antwortete ihr, dass wir das sicherlich irgendwie hinbekommen und lud die beiden fürs nächste Jahr zur Schnupperstunde in mein Harfenstudio ein. Ob sie wirklich kommen würden?
Bleib dran an der Live-Geschichte von O.!