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Ist das Kunst oder kann das weg?

Was ist Kunst wert?

Ist das Kunst oder kann das weg?

Über den Wert von Kunst

 

Mein Sohn wird nun in der 2. Klasse der Grundschule damit konfrontiert, dass seine Kunst-Werke im Werkunterricht bewertet werden. Während der sorgfältig bemalte Tontopf Nummer 1 von der Lehrerin gepriesen wird wie das Fabergé-Ei, muss sich der nächste Eleve damit auseinandersetzen, dass sein mit Leidenschaft bunt verzierter Topf nur „befriedigend“ ist. Das ist hart, und hier bestimmt einzig die Lehrerin über den Wert eines Werkes. Natürlich sind wir uns alle einig, dass nicht jedes kindliche Schaffen picasso-esk ist. Jedoch fehlt mir hier, den Wert der Kunst und des Kunstschaffens an sich in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Ist der kreative Ausdruck nicht ein ureigenes menschliches Bedürfnis? Ist jegliche Art des Schaffensprozesses nicht eine fast unerschöpfliche Quelle für Resilienz, für psychische Gesundheit? Und hat das nicht einen Wert, der tatsächlich auch monetär bewertbar ist? 

 

Welchen Sinn hat es, Kinder so früh zu bewerten und ihnen dadurch möglicherweise lebenslang den Zugang zu ihrer eigenen Kreativität zu verschließen?

 

Befürworter unseres notenbasierten Schulsystems werden sagen, es kann ja aber nicht alles Kunst sein. Frei nach dem Motto „Ist das Kunst oder kann das weg?“ wird hier entschieden, was ins Töpfchen und was ins Kröpfchen soll. 

 

Und ja, natürlich: es braucht eine Rückmeldung der Gesellschaft, was sich im künstlerischen Sinne abhebt von dem, was jeder zu Hause produzieren kann. Denn der Wert von Kunst wird in unserer Marktwirtschaft natürlich auch daran bemessen, was der Markt bereit ist, dafür zu zahlen. Die selbst gemachten Perlenarmbänder meines Sohnes, die er gerne im Internet verkaufen wollte, werden vermutlich nicht so außergewöhnlich sein, dass er damit ein Vermögen macht. Allerdings: mit der entsprechenden Marketing-Abteilung im Rücken könnte man die vielleicht als einzigartiges Luxus-Produkt in limitierter Auflage verkaufen. 

 

Was das für Musiker:innen bedeutet

Ich sehe in meiner Branche als Musikerin viele sehr begabte Harfenist:innen, die Weltkarrieren machen. Und ich sehe mindestens genauso viele sehr begabte Harfenist:innen, die als Musiklehrer:innen wahnsinnig tolle Arrangements für ihre Schüler:innen schreiben, Projekte auf die Beine stellen, selbst auf hohem Niveau spielen - und doch für die Weltöffentlichkeit im Wesentlichen ungehört und ungesehen bleiben. Die vermeintlich kleine Brötchen backen, nicht ein Millionenpublikum vom Hocker reißen, sondern einzelne Biografien wesentlich beeinflussen. Vielleicht sogar kleine Kinderseelen retten. Denn Musik (genauso wie jede Art von Kunst) ist in der Lage, uns in Krisen aufzufangen. Halt zu geben, wenn der Boden weggezogen wird. 

 

Ich sehe aber auch mittelmäßig gute Musiker:innen, die ebenfalls großartige Karrieren machen. Und ich sehe auch einige, deren Niveau an einen guten Schüler der Mittelstufe heranreicht, die trotzdem viel gebucht werden. Deren "befriedigende" Leistung (wenn man in Schulnoten denken möchte) vielen Leuten dennoch einen Mehrwert bringen. Reicht das als Daseinsberechtigung? Anders gefragt: Reicht das nicht als Daseinsberechtigung? 

 

Und: ist das nicht ungerecht? Sollten nicht die Besten die Erfolgreichsten sein?

 

Was also denn das Erfolgsrezept?

Meine Beobachtungen bringen mich zu dem Schluss, dass es nicht nur auf die künstlerische Qualität ankommt, sondern vielmehr auf folgende Dinge:

 

  • Geschlecht: Gemessen an dem Prozentsatz der männlichen Harfenschüler an den deutschen Musikschulen, sind erstaunlich viele erfolgreiche Profis männlich. Ich kann nicht glauben, dass dies widerspiegelt, welche Schüler:innen besonders begabt, fleißig und ehrgeizig sind. Es muss hier andere, geschlechtsbezogene Faktoren geben.
  • Aussehen: Wer nach unseren Schönheitsidealen bemessen als „hübsch“ eingestuft wird, hat eher Chance auf Erfolg.
  • Marketing: Eine Agentur, die auf einheitliches Auftreten, professionelles Bild- und Videomaterial und brauchbares Textmaterial achtet, erhöht die Erfolgschancen ungemein.
  • Finanzen: Um direkt professionell in eine Karriere durchzustarten, braucht es natürlich ein Elternhaus, das viel investiert. Oder dann einen entsprechenden Partner:in, mit dessen stabilem Gehalt man sich professionelle CD-Aufnahmen leisten kann. Alles, womit man selbst Geld verdienen muss, hält einen davon ab, Zeit und Kraft in die eigene kreative Weiterentwicklung zu stecken. Dabei ist nicht nur das zur Verfügung stehende Geld der limitierende Faktor, sondern der Wert, der der Kunst und der entsprechenden Förderumg beigemessen wird. 
  • Charaktereigenschaften: Tja, wird manch einer sagen, da kann man nichts machen. Man hat oder hat nicht eine Ausstrahlung, eine Präsenz, das Durchhaltevermögen und das Verhandlungsgeschick. Nun, sage ich, aber was passiert mit diesen Anlagen, wenn man in der zweiten Klasse gesagt bekommt, die eigene Kunst sei nicht viel wert? Ist es nicht vielmehr Aufgabe gerade der kreativen Schulfächer, die Persönlichkeit zu entwickeln, zu stärken, Interessen zu fördern, und wenn dies gelingt, habe ich dann nicht eine viel höhere Wahrscheinlichkeit auf eine besondere Ausstrahlung und Selbstbewusstsein, das andere in den Bann zieht?

Ist das Kunst oder kann das weg?

Kommen wir zurück zum Wert eines Kunstwerkes. Rechtlich gesehen definiert die „Schöpfungshöhe“ etwas zum urheberrechtlich gesehenen Kunstwerk, also das, was es eben besonders gegenüber 0815-Produkten macht. (Ich möchte nicht der Richter sein, der darüber urteilen muss!)

In der Branche der Klassik besteht ein recht klar definierter Kanon, welche Stücke „wertvoll“ sind und diese Schöpfungshöhe bis zum Maximum erreichen und welche nicht. Diese Definition öffnet sich schon mehr, wenn man in andere Genres wie Folk oder Jazz geht. In meiner Beobachtung zählt dort mehr, inwieweit die Musik die Zuhörer:innen und auch die Musiker:innen selbst berührt. 

 

Praktisch gesehen bestimmt der Markt den Wert eines Musikers oder Künstlers. Genau betrachtet beeinflusst aber vor allem das Marketing-Geschick von Profis im Hintergrund, ob dem Markt etwas überhaupt präsentiert wird. 

 

Vielleicht ist es an der Zeit, in sich hinein zu spüren, sich weniger von Reklame und den großen Ticketverkäufern leiten zu lassen, sondern in den umliegenden Kleinkunstmärkten, Vernissagen, Konzerten die ganz große Kunst zu entdecken, die das schafft, was Kunst schaffen soll: zu berühren, aufzuwühlen um anschließend zu trösten, zu inspirieren, zu kräftigen, zu beflügeln, Spaß zu machen. 

 

Augen auf! Vielleicht verpasst ihr sonst jede Menge. Falls ihr Perlentiere oder Bleistiftskizzen kaufen wollt, ich bin die exklusive Vertriebsstelle :)

 

Was ist für euch der Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst?